Wenn man Mutterschaft hört, denkt man erstmal an bedingungslose Liebe, Hingabe, Versorgung, Geborgenheit, Sicherheit, Schutz, Nähe, Heimat etc. Das alles ist definitiv ein wesentlicher Bestandteil von Mutterschaft, aber es gibt noch den anderen, dunklen, verschwiegenen Teil, für den sich viele Mütter schämen, sich selbst verurteilen und denken sie würden versagen und wären allein damit.

“..und es macht sie bei Weitem nicht zu einer schlechten Mutter.”

Heute hatte ich mit ein paar befreundeten Müttern ein Gespräch darüber, wie das Muttersein uns verändert hat. Eine sagte, dass Seiten an ihr zum Vorschein kamen, von denen sie nie gedacht hätte, dass sie in ihr stecken. Eine andere sagte, sie hatte bevor sie Mutter wurde noch nie extreme Wut verspürt.
Wenn man wirklich ehrlich von Mutter zu Mutter miteinander spricht, werden definitiv beide Seiten viele Geschichten auspacken können, wo sie keine Kraft mehr hatten, keine Geduld, wo sie vor Wut gekocht haben und gebrüllt haben, wo sie Kinder bestraft haben, ihnen Vorwürfe gemacht haben, wo ihre Emotionen überhandgenommen haben und sie vielleicht verletzende Erziehungsmethoden aus ihrer eigenen Kindheit unbewusst angewandt haben, obwohl sie sich davon komplett distanzieren wollten.
Es ist leider so, aber es gehört dazu, es ist normal, es ist menschlich. Das bedeutet nicht, dass es ok ist, all diese Dinge sind nicht förderlich für Kinder und sollten bestenfalls nicht vorkommen, aber keine Mutter ist alleine damit und es macht sie bei Weitem nicht zu einer schlechten Mutter.

Es ist einfach enorm, was wir leisten. Kinder zu versorgen, Beziehungsarbeit zu leisten, Haushalt zu managen, Termine im Blick zu haben, wir geben über Monate und Jahre unseren Körper hin, in der Schwangerschaft und Stillzeit, unter monatelangem chronischen Schafmangel leisten wir stundenlange emotionale, körperliche und nervliche Schwerstarbeit und das zum Teil noch bevor andere ihr Frühstück gemacht haben. Nebenbei gehen wir evtl. noch einer Beschäftigung nach, verfolgen eigene Ziele und versuchen alles richtig zu machen, was einfach nicht geht. Wir machen vieles falsch.

Wut macht uns Angst

Mir geht es so, dass ich extreme Wut auch erst mit dem Muttersein erlebt habe und sie immer sofort wieder tief in mir vergraben habe, weil ich es nicht akzeptieren wollte, dass ich mich so fühle/verhalte.
Oft wird Wut so negativ gesehen. Sie macht uns einfach Angst, denn Wut ist gefährlich, kann zu Aggressionen führen, zu Zerstörung. Es ist gerade unter Christen ein No-go so richtig wütend zu sein, habe ich das Gefühl. Das passt ja nicht so mit den Gaben des Geistes zusammen. Aber wenn es so menschlich ist, die ganze Bandbreite der Emotionen zu fühlen, glaube ich, dass Gott uns ganz bewusst mit diesen Emotionen geschaffen hat, da sie uns so unfassbar viel erzählen können. Doch nur, wenn wir sie nicht verdrängen und uns dafür verurteilen.
Jesus war auch sehr emotional. Das wird jeder feststellen, der sich mit den Überlieferungen im Neuen Testament auseinandersetzt. Doch gerade wir Mädchen lernen schon sehr früh, dass lieb und ruhig zu sein, Wohlgefallen in unserem Umfeld auslöst. Ausrasten und große Gefühle wurden eventuell nicht souverän begleitet, sondern ignoriert oder gar bestraft. Natürlich haben wir dann noch heute Angst vor der Wut.

“Die Wut ist nicht in erster Linie da, um Zerstörung anzurichten, sondern um uns etwas Wichtiges zu zeigen.”

Doch was wäre, wenn wir uns mal mit der Wut unterhalten? Ganz urteilsfrei und neutral, wir benennen sie, sehen sie an: Wie verhält sie sich, wann taucht sie auf, was will sie erreichen, wovor will sie schützen, was will sie verteidigen, welche Ungerechtigkeit sieht sie? Die Wut ist nicht in erster Linie da, um Zerstörung anzurichten, sondern um uns etwas Wichtiges zu zeigen. Auch wenn es schwerfällt das zu glauben, aber Wut ist wichtig und sie zu beachten, statt sie zu verdrängen, ist auch wichtig, damit sie eben nicht irgendwann außer Kontrolle gerät.

Denn was Wut im Kern meist ist, ist Hilflosigkeit. Es ist ein Überlebensinstinkt. Wir sehen uns bedroht (und das kann auch ein um sich tretendes und schreiendes Kleinkind sein), wir fühlen uns dann machtlos diesem Verhalten gegenüber, sind evtl. in einem Laden und können nicht mit den Blicken der anderen umgehen, haben Zeitdruck und das Kind weigert sich mitzumachen. Man fühlt sich so hilflos und genau da wollen wir uns schützen. Wut ist auch eine enorme Kraft, um Ungerechtigkeit zu bekämpfen. Ja, auch von unseren Kindern könne wir uns ungerecht behandelt fühlen und dass kann einen zum Verzweifeln bringen.

Gnädig mit uns sein

Ich glaube jedenfalls, um zum Anfang zurückzukommen, dass das Muttersein uns zum Besseren verändert. Auch wenn wir vorher so eine extreme Wut von uns nicht kannten, heißt das nicht, dass wir eine schreckliche, wütende Person geworden sind, sondern dass wir extremen Bedingungen ausgesetzt sind und uns einfach zu verteidigen versuchen.
Wenn wir gnädig mit uns sind – auch mit Anteilen, die wir sonst immer abgelehnt hatten – dann können wir heilen und wachsen und lernen und Vorbilder für unsere Kinder sein. Sie dürfen lernen, dass wir Gefühle haben, aber nicht von ihnen beherrscht werden und sie auch nicht verdrängen. Alle Gefühle dürfen sein, sie haben ihre Berechtigung, aber sie dürfen auch weiterziehen. Wenn wir wirklich gnädig mit uns sind, können wir es auch mit unseren Kindern sein.

Fragen:

  • Was hat sich, seit du Mutter bist, in dir verändert?
  • Was will deine Wut dir sagen?
  • Wie gehst du mit der Wut deiner Kinder um?