Der Mut aufzublühen
Letztens sah ich eine vertrocknete Blume an, die meine Tochter gepflückt und nach Hause gebracht hatte. Sie war nur wenige Tage zuvor so leuchtend gewesen und nun wurde sie braun, schrumpelig und leblos. Etwas bewegte dieser Anblick in mir, eine Art tiefer Traurigkeit.
Kurze Zeit später, als ich durch den, in der Frühlingssonne erwachenden, Wald spazierte, sah ich all die Knospen, denen man das pralle Leben förmlich ansehen konnte: die Kraft, der Lebenswille, der Mut, der innere Druck, die Bestimmung, die Schönheit im Verborgenen, der Schmerz und ein bisschen auch die Angst aufzubrechen und das Risiko zu erblühen. Das alles sah ich in der Knospe, bis ich realisierte, dass ich das eigentlich tief in mir selbst wahrnahm.
Keine Verbindung zur Lebensquelle
Ich fühlte mich schon sehr lange irgendwie kraftlos, ausgetrocknet und abgetrennt. Wie ein Blatt im Wind habe ich versucht, hier und da dazuzugehören und meinen Platz zu finden, doch jeder Windstoß trieb mich weg und ich vertrocknete unterwegs mehr und mehr. Dabei wich die Farbe aus mir, wie bei einem Herbstblatt.
Mir war auch klar, dass es die Verbindung zu meiner Lebensquelle ist, die gerade nicht fließen kann, als wäre da ein Staudamm und es sickert kaum etwas durch. Geistlich war ich schon kaum noch lebendig, hatte lange keine Ambitionen mehr darin zu wachsen und suchte kaum Gemeinschaft mit anderen Gläubigen.
Es fiel mir sogar sehr lange schwer zu beten. Wenn überhaupt, betete ich ab und zu in einer Gruppensituation, wenn es irgendwie erwartet wurde und ich wusste was man so sagt. Doch mein Herz war nicht da, es war ganz stumpf und still geworden.
Statt mich mit Menschen in meinem Leben zu verbinden, habe ich mich täglich im Internet mit Infos über Dinge, die in der Welt los sind und dem Leben fremder Menschen abgelenkt. Sogar Gott ist langsam immer nebensächlicher geworden. Zugleich wuchsen die Herausforderungen in meinem Leben.
Ich wurde Mutter von zwei kleinen Kindern, hatte eine sehr konfliktreiche Ehe, meine Schwester am anderen Ende der Welt war schwer zu erreichen durch die Zeitverschiebung, zu meinen Eltern hatte ich keine starke Beziehung. Außerdem fing ich nach meiner zweiten Elternzeit wieder an zu arbeiten – in einem Job, der mich auf vielen Ebenen herausfordert, indem ich täglich so oft ins kalte Wasser springen musste und massiv mit dem Impostor-Syndrom zu kämpfen hatte.
Leben im Überlebens-Modus
Dies alles ging viele Monate lang und ich wusste, ich brauche morgens und abends dringend Zeit für mich…zum Schreiben, Malen, Meditieren, bei Gott Sein, Spüren, Atmen, still Werden, Herzens-Menschen Treffen, tiefe bedeutende Gespräche Führen, Beten, Lesen, kreativ Werden.
Doch keine dieser Sachen machte ich, sondern es war immer das einfache, schnelle Ablenken – das unbedachte Konsumieren – was meine wertvolle Zeit füllte. Viel Schokolade und Youtube Videos, die mir vorgeschlagen wurden (warum auch immer, denn ich wäre nie auf die Idee gekommen danach zu suchen?!) stumpfen meine Lebendigkeit enorm ab. Sogar im Bett holte ich nochmal mein Handy durch die Angewohnheit mit einem Podcast oder Hörbuch einzuschlafen.
Doch je stressiger mein Tag war, desto unbedachter fing ich dann im Dunkeln nochmal an zu scrollen. Bis ich kaum noch wach bleiben konnte, weit nach Mitternacht.
Am nächsten Tag wachten die Kinder früh auf und ich musste sofort da sein und mich um sie kümmern, die Bedürfnisse zweier kleiner Menschen erfüllen, noch bevor ich überhaupt selbst mal im Bad war. Ich startete oft gereizt in den Tag, wenn ich am Abend so lange gescrollt habe (logisch), was wiederum meine Kinder merkten. Umso mehr klammerten und jammerten sie und ich selbst konnte kaum noch atmen. Ich kam langsam, aber sicher in einen Überlebens-Modus rein (fight, flyight, freeze, fawn) in meinem Falle, definitiv flight (Flucht) und fawn (übermäßige Anpassung).
Mein Nervensystem war permanent auf Hochspannung, selbst in den Zwischenpausen füllte ich es mit Stress. Durch das Scrollen wird Stress ausgelöst. Alle par Millisekunden neue Bilder, Texte, Geräusche, Lieder, Eindrücke…für eine hochsensible Person ist das purer Stress, was man sich da antut und zugleich wird Dopamin freigesetzt. Neuigkeiten zu erfahren, die virtuelle Verbindung zu der Welt, die lustigen Memes in denen man sich selbst wiederfindet, die bewegenden und auch die inspirierenden Dinge, die man sich schön abspeichert für später, können echte Glücksgefühle auslösen. Das macht es wiederum sehr schwer, mit dem endlosen Scrollen aufzuhören.
Ich entferne mich durch diese kleinen, aber bedeutenden täglichen Entscheidungen immer mehr von mir, anderen Menschen und vor allem von Gott…
Abgeschottete Emotionen
In einer Sitzung vor einigen Monaten sagte meine Therapeutin, sie habe den Eindruck ich sei nicht mit meiner Lebensquelle verbunden und dass der Weg dorthin über meine Emotionen ginge. Doch die hatte ich abgeschottet, aus Angst, dass dort zu viel Wut, Schmerz, Böses schlummert. Wenn ich Emotionen spürte, dann war es insbesondere Wut und die war manchmal kaum zu kontrollieren und machte mir Angst, also schob ich sie ganz weit runter. Doch da alle Emotionen miteinander zusammenhängen und man nicht nur die „schlechten“ aussortieren und ins Exil schicken kann, sondern damit immer auch die anderen, lebensspendenden Emotionen wie Freunde, Begeisterung und Liebe abgeschottet werden, lebte ich fast komplett ohne Zugang zu all meinen Emotionen und das, obwohl ich ein sehr sehr emotionaler Mensch bin.
Dass dies nicht lange gut gehen konnte ist verständlich. Irgendwann war keine Kraft mehr da, woher auch?
Ich konnte Gottes Gegenwart wahrnehmen
Doch vor wenigen Tagen fand ich mich spontan bei einem wunderbaren Lobpreis- und Heilungsabend der Zeal Church in Halle wieder, wo ich Gottes Gegenwart so intensiv wahrnahm, wie richtig lange nicht mehr. Immer wenn ich die Augen schloss und betete, hatte ich eine Knospe vor Augen, die gerade aufbrach und aus der endlos viele Blütenblätter in den prächtigsten Farben hervorkamen. Es hörte gar nicht auf, die Blüte wuchs und wuchs und die kleine Knospe war kaum noch sichtbar in all der Pracht.
Als dann später am Abend Heilungsgebet für psychische Krankheiten angeboten wurde und man sich dort, wo man war, mit einem Handzeichen melden konnte und um einen herum dann gebetet wurde, zögerte ich einen Moment…ist es das Risiko wert, mich hier so verletzlich zu machen? Ich kenne hier kaum jemanden, was wenn ich jetzt komisch betrachtet werde?! Ich schaute kurz herum, damit ich nicht die Einzige bin, die sich meldet. Doch da schoss wie von selbst meine Hand ebenfalls hoch. Ich entschied mich, nicht länger diesen Kampf alleine kämpfen zu müssen, ich entschied mich in Verbindung zu kommen. Erstmal mit mir, mit den wundervollen, geisterfüllten Menschen um mich herum und mit Gott, der nur Gutes für mich bereithielt und mir zuflüsterte: „Du musst nicht mehr kämpfen, ich habe bereits gesiegt.“
Ich entschied mich aus meiner Knospe herauszubrechen und zu blühen, denn der innere Druck war nahezu unerträglich geworden. Alles in mir erbebte in Lebendigkeit und dann hörte ich immer wieder in dem Stimmengewirr, der um mich herum für mich Betenden, das Wort „Freunde“ heraus. Erst ganz zaghaft, wie der erste farbige Zipfel einer Blüte in der Knospe fing ich an zu grinsen, dann zu lächeln, dann kichern und schließlich aus ganzem Herzen zu lachen, bis ich kaum noch stehen konnte. Es sprudelte scheinbar ohne Ende aus mir heraus und es befreite so unfassbar viel in mir. Ich hatte das Gefühl, als wären in ganz dunklen Räumen meines Herzens endlich Licht und alles in mir wurde hell und warm, jede Zelle vibrierte mit Lebendigkeit und ich wusste in dem Moment ganz genau: ich mit verbunden mit meiner Lebensquelle. Mit Gott, der in mir lebt.
Fragen:
- Wie verbringst du deine ersten und letzten Momente des Tages?
- Wonach sehnt sich dein Herz gerade am meisten?
- Was macht dir gerade am meisten Angst? Besteht da ein Zusammenhang?
Ein Brief an meinen Körper
Dich gibt es auf dieser Welt seit etwas mehr als 31 Jahren und auch, wenn das nicht sonderlich lange ist, hast du schon viel durchgemacht. Du hast mich durch so viele wunderschöne und schreckliche Momente gebracht, doch lange bin ich alles andere als gut mit dir umgegangen. Nun möchte dir einfach mal danken.
Schon nach der Geburt..
Schon kurz nach der Geburt hast du gegen eine schwere Infektion gekämpft, musstest fremdes Blut durch deine jungen Venen pumpen um zu leben. Danke, dass du es geschafft hast. Du hast gekämpft und wurdest geheilt und bist trotz meiner Nahrungsverweigerung, langsam aber sicher, gewachsen und hast gelernt zu krabbeln, zu laufen, zu sprechen.
Als Schulkind hast du nachts Symptome gezeigt, die ich nicht einordnen konnte und aus Angst niemandem davon erzählte. Doch als du sie eines Tages auch am Tag zeigtest, kam Hilfe und du hast auch da für unsere Genesung gekämpft.
Trotzdem war ich schon früh nicht ganz zufrieden mit dir. Du warst immer schon viel kleiner als meine Freunde und zu dünn. Ich verglich deine Form mit der meiner Mitschülerinnen und hatte immer das Gefühl nicht gut genug zu sein. Immer wieder wurde ich für meine Größe geneckt, doch dass es an der frühkindlichen, schweren Krankheit lag, dass ich nicht so groß war wie sie, wissen bis heute die wenigsten.
Als Jugendliche hat mich das Erwachsenwerden verunsichert und ich hab versucht mit rigidem Essverhalten Kontrolle über das Chaos in mir zu bekommen und du musstest jahrelang mit starkem Mangel täglich extreme Leistung bringen – kognitiv und körperlich. Du zeigest mit unbändigem Hunger, dass dir was fehlt und wenn ich die Kontrolle verlor, konnte ich das aus Scham und Versagensangst nicht aushalten und machte es wieder rückgängig. Dass damit ein zerstörerischer Kreislauf begann, der über 7 Jahre andauerte. war mir damals noch nicht bewusst. Doch du hast wieder so eine Stärke gezeigt und hast dich immer wieder regeneriert, warst jeden morgen bereit für einen neuen Tag. Danke dafür.
Zeichen der Heilung
Du stelltest unsere Fruchtbarkeit die gesamten 7 Jahre ein, was ich kaum beachtete, weil ich den Kontakt zu dir komplett verloren hatte. Die Wunden, die ich dir vor lauter innerem Schmerz zufügte, heilten mit der Zeit wieder und die Linien erzählen bis heute Geschichten, an die ich ungern zurückdenke, die aber dennoch ein Teil von mir sind.
Als du mir wieder vertrauen konntest dich regelmäßig und nährstoffreich zu versorgen, kam meine Regel zurück und ich freute mich so sehr dies als Zeichen der Heilung zu sehen.
Wir sind durch die Welt gereist, haben Stürme überstanden, Berge erklommen, wir sind im Regen getanzt, haben im tiefsten Wald Gott angeschrien, sind nachts durch glitzernde Meereswellen getaucht und haben an den unmöglichsten Orten geschlafen.
Danke, dass du mir immer so viele intensive Eindrücke durch die Sinne geschenkt hast. Wir konnten sowohl zärtliche Nähe mit geliebten Menschen austauschen, als auch plötzliche, körperliche Übergriffe abwehren. Da hast du wieder unbändigen Mut und Stärke gezeigt, und wie oft ich unterschätzt werde, weil du so klein und zart bist.
Ein sicheres Zuhause – nicht nur für mich
Doch du bist ein sicheres Zuhause für meine Seele und du hast meine beiden wunderbaren Töchter mit auf diese Welt begleitet. Du hast auch ihnen eine zeitlang ein sicheres Zuhause gegeben, hast sie durch Gottes Zauber im Verborgenen geformt, genährt, gestärkt für die Welt, die auf sie gewartet hat. Danke, dass du mir ermöglicht hast, dieses Wunder zu erleben.
Du hast bei der ersten Geburt wieder einmal gezeigt, was für eine Löwinnenkraft in dir steckt. Du wusstest, was zu tun ist und du hast deinen Teil in diesem Wunder so wunderbar gemacht. Du hast dich so schnell wieder erholt und konntest diesen kleinen, neuen Menschen komplett ernähren.
Als uns etwas mehr als ein Jahr später die zweite Schwangerschaft überraschte, ließt du auch da ein kleines Herz in deiner Mitte heranwachsen, welches jedoch in der 12. Woche plötzlich aufhörte zu schlagen. Auch da ließt du mir genug Zeit um Abschied zu nehmen und dann ließt du ganz von alleine los in einer sehr schmerzhaften Nacht, für die ich aber so dankbar war, weil überhaupt kein Eingriff von außen nötig war.
Danke, für deine Weisheit und dein Timing. Über ein Jahr danach schlug wieder ein Herz in dir und ich konnte dir wieder vollkommen vertrauen, es auf diese Welt zu bringen. Das Ende der Schwangerschaft kam früher und ganz anders als gedacht, doch du hast auch da so eine Kraft gezeigt. Du standest unter Schock, aber du konntest sie trotzdem sofort mit Milch versorgen. Wir ruhten uns sehr lange aus und du halfst mir das Leben als zweifache Mutter voll Ruhe und Leichtigkeit zu starten. Danke für alles, was ich in dieser Zeit lernen durfte.
“Durch alle Höhen und Tiefen”
Als ich nach einem Jahr wieder in einem sehr herausfordernden Job arbeiten ging und zugleich eine aufwühlende Therapie begann, zeigtest du mit wieder mit Stresssymptomen unseres Nervensystems, dass ich viele Gefühle verdrängt habe. Dass ich meine Prioritäten weise setzen soll und dass ich innerlich immer noch in einem Überlebensmodus stecke.
Jetzt bin ich an dem Punkt mit dir achtsam umzugehen, dir zuzuhören und deine Signale ernst zu nehmen, das zentrale Nervensystem, sowie das hochempfindlich und hochkomplexe Hormonsystem zu regulieren. Deshalb schreibe ich dir, denn ich sehe dich jetzt nach 31 Jahren wirklich mit einem Blick voll Liebe, Hochachtung und Dankbarkeit.
Danke, dass du durch alle Höhen und Tiefen bisher so treu und stark warst und ich freue mich auf die kommenden Jahre, in denen wir noch bewusster zusammenarbeiten werden und Gottes Licht gemeinsam auf dieser Welt sichtbar machen werden.
“Danke, dass du alles zum Guten wendest.”
Und danke Gott, denn ohne Dich wäre all dies oben genannte nie möglich gewesen. Du bist der Klebstoff, der meine Zellen zusammenhält und der, der mich in der dunkelsten Zeit innerlich getragen hat. Mein Körper erzählt eine Geschichte, aber du hast sie geschrieben. Danke, dass du alles zum Guten wendest.
“Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin; wunderbar sind deine Werke; das erkennt meine Seele.” – Psalm 139, 14
Claire
Frage:
- Was würdest du gerne mal deinem Körper sagen/schreiben?
- Wofür bist du dankbar? Was habt ihr gemeinsam durchgestanden?
- Wie siehst du deinen Körper heute?
Was will die Wut mir sagen?
Wenn man Mutterschaft hört, denkt man erstmal an bedingungslose Liebe, Hingabe, Versorgung, Geborgenheit, Sicherheit, Schutz, Nähe, Heimat etc. Das alles ist definitiv ein wesentlicher Bestandteil von Mutterschaft, aber es gibt noch den anderen, dunklen, verschwiegenen Teil, für den sich viele Mütter schämen, sich selbst verurteilen und denken sie würden versagen und wären allein damit.
“..und es macht sie bei Weitem nicht zu einer schlechten Mutter.”
Heute hatte ich mit ein paar befreundeten Müttern ein Gespräch darüber, wie das Muttersein uns verändert hat. Eine sagte, dass Seiten an ihr zum Vorschein kamen, von denen sie nie gedacht hätte, dass sie in ihr stecken. Eine andere sagte, sie hatte bevor sie Mutter wurde noch nie extreme Wut verspürt.
Wenn man wirklich ehrlich von Mutter zu Mutter miteinander spricht, werden definitiv beide Seiten viele Geschichten auspacken können, wo sie keine Kraft mehr hatten, keine Geduld, wo sie vor Wut gekocht haben und gebrüllt haben, wo sie Kinder bestraft haben, ihnen Vorwürfe gemacht haben, wo ihre Emotionen überhandgenommen haben und sie vielleicht verletzende Erziehungsmethoden aus ihrer eigenen Kindheit unbewusst angewandt haben, obwohl sie sich davon komplett distanzieren wollten.
Es ist leider so, aber es gehört dazu, es ist normal, es ist menschlich. Das bedeutet nicht, dass es ok ist, all diese Dinge sind nicht förderlich für Kinder und sollten bestenfalls nicht vorkommen, aber keine Mutter ist alleine damit und es macht sie bei Weitem nicht zu einer schlechten Mutter.
Es ist einfach enorm, was wir leisten. Kinder zu versorgen, Beziehungsarbeit zu leisten, Haushalt zu managen, Termine im Blick zu haben, wir geben über Monate und Jahre unseren Körper hin, in der Schwangerschaft und Stillzeit, unter monatelangem chronischen Schafmangel leisten wir stundenlange emotionale, körperliche und nervliche Schwerstarbeit und das zum Teil noch bevor andere ihr Frühstück gemacht haben. Nebenbei gehen wir evtl. noch einer Beschäftigung nach, verfolgen eigene Ziele und versuchen alles richtig zu machen, was einfach nicht geht. Wir machen vieles falsch.
Wut macht uns Angst
Mir geht es so, dass ich extreme Wut auch erst mit dem Muttersein erlebt habe und sie immer sofort wieder tief in mir vergraben habe, weil ich es nicht akzeptieren wollte, dass ich mich so fühle/verhalte.
Oft wird Wut so negativ gesehen. Sie macht uns einfach Angst, denn Wut ist gefährlich, kann zu Aggressionen führen, zu Zerstörung. Es ist gerade unter Christen ein No-go so richtig wütend zu sein, habe ich das Gefühl. Das passt ja nicht so mit den Gaben des Geistes zusammen. Aber wenn es so menschlich ist, die ganze Bandbreite der Emotionen zu fühlen, glaube ich, dass Gott uns ganz bewusst mit diesen Emotionen geschaffen hat, da sie uns so unfassbar viel erzählen können. Doch nur, wenn wir sie nicht verdrängen und uns dafür verurteilen.
Jesus war auch sehr emotional. Das wird jeder feststellen, der sich mit den Überlieferungen im Neuen Testament auseinandersetzt. Doch gerade wir Mädchen lernen schon sehr früh, dass lieb und ruhig zu sein, Wohlgefallen in unserem Umfeld auslöst. Ausrasten und große Gefühle wurden eventuell nicht souverän begleitet, sondern ignoriert oder gar bestraft. Natürlich haben wir dann noch heute Angst vor der Wut.
“Die Wut ist nicht in erster Linie da, um Zerstörung anzurichten, sondern um uns etwas Wichtiges zu zeigen.”
Doch was wäre, wenn wir uns mal mit der Wut unterhalten? Ganz urteilsfrei und neutral, wir benennen sie, sehen sie an: Wie verhält sie sich, wann taucht sie auf, was will sie erreichen, wovor will sie schützen, was will sie verteidigen, welche Ungerechtigkeit sieht sie? Die Wut ist nicht in erster Linie da, um Zerstörung anzurichten, sondern um uns etwas Wichtiges zu zeigen. Auch wenn es schwerfällt das zu glauben, aber Wut ist wichtig und sie zu beachten, statt sie zu verdrängen, ist auch wichtig, damit sie eben nicht irgendwann außer Kontrolle gerät.
Denn was Wut im Kern meist ist, ist Hilflosigkeit. Es ist ein Überlebensinstinkt. Wir sehen uns bedroht (und das kann auch ein um sich tretendes und schreiendes Kleinkind sein), wir fühlen uns dann machtlos diesem Verhalten gegenüber, sind evtl. in einem Laden und können nicht mit den Blicken der anderen umgehen, haben Zeitdruck und das Kind weigert sich mitzumachen. Man fühlt sich so hilflos und genau da wollen wir uns schützen. Wut ist auch eine enorme Kraft, um Ungerechtigkeit zu bekämpfen. Ja, auch von unseren Kindern könne wir uns ungerecht behandelt fühlen und dass kann einen zum Verzweifeln bringen.
Gnädig mit uns sein
Ich glaube jedenfalls, um zum Anfang zurückzukommen, dass das Muttersein uns zum Besseren verändert. Auch wenn wir vorher so eine extreme Wut von uns nicht kannten, heißt das nicht, dass wir eine schreckliche, wütende Person geworden sind, sondern dass wir extremen Bedingungen ausgesetzt sind und uns einfach zu verteidigen versuchen.
Wenn wir gnädig mit uns sind – auch mit Anteilen, die wir sonst immer abgelehnt hatten – dann können wir heilen und wachsen und lernen und Vorbilder für unsere Kinder sein. Sie dürfen lernen, dass wir Gefühle haben, aber nicht von ihnen beherrscht werden und sie auch nicht verdrängen. Alle Gefühle dürfen sein, sie haben ihre Berechtigung, aber sie dürfen auch weiterziehen. Wenn wir wirklich gnädig mit uns sind, können wir es auch mit unseren Kindern sein.
Fragen:
- Was hat sich, seit du Mutter bist, in dir verändert?
- Was will deine Wut dir sagen?
- Wie gehst du mit der Wut deiner Kinder um?
Achtsame Mutterschaft
Manchmal rauscht die Zeit mit kleinen Kindern so an einem vorbei, finde ich. Gerade zum Jahreswechsel denkt man an die Zeit, die zurückliegt. Daran, dass so unfassbar viel passiert ist und die Tage sich zum Teil ewig angefühlt, doch das Jahr so schnell vorbei ging. Ich finde es unglaublich, denn Zeit gewinnt, wenn man Mutter wird, wirklich eine neue Bedeutung.
Mehr Achtsamkeit in meinem Mama-Alltag
Was mir zum kürzlich zurückliegenden Jahreswechsel bewusst wurde ist, mein Wunsch nach mehr Achtsamkeit in meinem Mama-Alltag. Achtsamkeit bedeutet für mich bewusstes Leben. Hinschauen und wirklich sehen, hinhören und wirklich verstehen, sich berühren und wirklich spüren. Einfach intensiv wahrnehmen, was um einen herum passiert.
Vor allem aber eben im Hinblick auf die Kinder. Ich merke gerade wie wichtig es ist, sie bewusst zu beobachten. Ihre kleinen Hände, wie geschickt und flink sie sich bewegen und was für ein Wunder sie sind. Die Augen wie sie aufmerksam und leuchtend die Welt um sie herum betrachten und so vieles aufnehmen und wie schnell sie Dinge begreifen. Wie ihre Lippen neue Wörter formen und wie ihre Locken wippen, wenn sie umher tanzen. Ich bin immer so von Seligkeit und Liebe erfüllt, wenn ich mir die Zeit nehme innezuhalten um all diese kleinen aber wunderschöneren Details wahrzunehmen und über das absolute Wunder zu meditieren, dass sie aus mir heraus entstanden sind!
Sie waren in mir, von den ersten paar Zellen bis zum komplett einzigartig geformten Menschen! Nun sind sie hier und sprechen mit mir, nennen mich Mami und machen die Welt um sie herum durch ihr wunderbares Wesen zu einem besseren Ort. Ich kann nicht anders als zu staunen, welches Glück ich habe, um sie in ihr Leben hinein zu begleiten und stark zu machen.
Achtsamkeit mit Kindern gemeinsam üben
Achtsamkeit mit Kindern gemeinsam zu üben ist auch eine wunderschöne Möglichkeit den Alltag zu entschleunigen, mit den Kindern in Kontakt zu kommen und die Welt gemeinsam bewusster zu betrachten. Zu unseren liebsten Übungen gehören: Tiere beobachten, angefangen bei kleinen Käfern, bis hin zu Hirschen im Wildtierpark. Einfach zuschauen und staunen wie wunderschön sie gemacht wurden. Wir lauschen auch sehr gerne Vogelstimmen und versuchen einzelne rauszuhören, wir sammeln Steine und sortieren sie nach Farben und Größen, wir berühren im Wald verschiedene Baumrinden und Moossorten und beschreiben wie es sich anfühlt.
Was ich meiner Großen zur Zeit nahe bringe, ist das bewusste, tiefe Atmen zur Emotionsregulation und auch einfach zum Entspannen in Stressmomenten. Den Bauch voll und rund atmen und dann ganz langsam auspusten, bis der Bauch ganz flach ist. Das wiederholen wir ein paar mal und die Wirkung ist sofort bemerkbar, sodass es mich immer wieder aufs Neue erstaunt.
Es gibt noch so viel mehr was man machen kann um die Achtsamkeit zu üben, am einfachsten ist es auch einfach Sinneswahrnehmungen zu beschreiben, wie zum Beispiel: der Wind streicht mir durch die Haare, beim Schaukeln kitzelt es in meinem Bauch, der Boden fühlt sich kühl an unter meinen Füßen, das Eis knackt und sieht aus wie Glass, die Schokolade schmilzt ganz langsam in meinem Mund.
Das sind einfach nur ein paar Anregungen für typische Alltagsmomente von Kindern, die viel zu oft unbemerkt und umkommentiert an uns begleitenden Erwachsenen vorbei gehen, obwohl es so gut geeignete Situationen sind, um unseren Kindern zu zeigen, wie stärkend und erdend solche Sinneswahrnehmungen sind, um so ihre Empfindungen und Ausdrucksmöglichkeiten zu entwickeln. Wenn Kinder innerlich zur Ruhe kommen, statt von einem spannenden Spiel ins nächste zu rauschen, können sie den Kontakt zu sich und ihrem Umfeld stärken und dass ist für das gesamte Leben so unfassbar wichtig.
Kleine Begegnungen mit Gott im Alttag
Was ebenfalls für mich zur Achtsamkeit dazugehört, ist ihnen von Gott zu erzählen. Damit meine ich nicht in erster Linien klassische Kinderbibelgeschichten zu lesen. Was ich persönlich noch wichtiger finde, ist, Gott im profanen Alltag zu erleben. Wenn die Wunde am Knie schnell verheilt ist, danken wir Gott für’s besser machen. Wenn der Himmel am Abend rosa, pink und lila wird, reden wir darüber, wie Gott gerade den Himmel bemalt und uns damit zeigt, wie lieb er uns hat. Wenn Bäume mit den Blättern rascheln, überlegen wir, ob sie wohl gerade Gott zujubeln. Wenn Schnee in der Sonne glitzert, hat Gott uns eine ganz besondere Freude gemacht, weil Glitzer so magisch ist. Und wenn sie Angstmomente überwinden und Neues wagen, danken wir Gott für den Mut usw. So kann sich eine achtsame und lebendige Beziehung zu Gott entwickeln und diese Momente gehen mittlerweile fast immer von meiner Tochter aus, die solche kleinen Begegnungen mit Gott im Alltag wahrnimmt und sich darüber freut.
Ich muss dazu sagen, all diese Dinge machen wir bei weitem nicht täglich und sollte keinen Druck und Stress auslösen – da haben die meisten von uns schon genug von. Ich selbst kenne das als arbeitende Mutter, dass ich manchmal einfach nicht auf die Idee komme Achtsamkeit zu praktizieren. Aber umso wichtiger finde ich es, die kleinen Gelegenheiten zu nutzen, sei es einfach auf dem Nachhauseweg vom Kindergarten, beim Händewaschen und abends im Bett. Es gibt immer Momente, wo man innehalten kann, um den Alltag mit Kindern anders zu sehen, kleine Wunder zu registrieren und zu zelebrieren und so unseren Kindern mitzugeben, dass nichts davon selbstverständlich ist, sondern Gott so viel Liebe für’s Detail in seiner Schöpfung zeigt, die wir nur wahrnehmen, wenn wir achtsam sind auch auch wirklich mal innehalten.
Fragen:
- Welche Ideen kommen Dir in den Sinn, um mehr Achtsamkeit in deinen Mama-Alltag zu bringen?
- Siehst du mit deinen Kindern bewusst hin, wenn sie mit ihren kindlichen Augen die Welt erkunden?
- Was macht für dich Gottes kreative Handschrift aus? Wo nimmst du sie in deiner Umgebung wahr?
Der Sturm in mir
Wie gehe ich damit um, wenn ein Sturm in mir tobt? Das habe ich mich in letzter Zeit oft gefragt und eine klassische Geschichte aus der Bibel kommt dabei immer wieder auf:
Jesus stillt den Sturm.
Jesus ist mitten unter den Jüngern. Er ruht, sie sehen und hören ihn nicht, aber sie wissen, er ist da. Doch mitten im Sturm bekommen sie Panik, versuchen alles um sich selbst zu retten und als gefühlt alles in ihrer Möglichkeit ausgeschöpft ist, wenden wie sich an Jesus, der ruhig bleibt, fragt, warum alle so panisch sind und mit einem Wort den Sturm stillt. (frei nach Matthäus 8, 23-27)
Ich kann die Jünger hier total gut verstehen. Wie oft schon sah es in mir genau so aus. Ich weiß, Jesus ist da, doch ich erlebe ihn oft nicht aktiv. Ich tue und mache so gut ich kann, werde erschöpft und ein wenig enttäuscht von Jesu Passivität und im Falle eines Sturms wende ich mich, nach allen möglichen Rettungsversuchen, verzweifelt an ihn, weil ich weiß, er kann etwas tun. Dann habe ich oft das Gefühl, dass er mich fragt: Wovor hast du Angst, Claire?
Angst vor dem Verlassen-werden
Und das ist eine gute Frage. Wenn ich ganz ehrlich bin, ist es Angst vor Kontrollverlust. Und diese Angst hat schon so viel Schaden in mir bereitet. Denn sie führt dazu, dass so ein Sturm in mir überhaupt erst aufziehen kann.
Es klingt paradox, aber ein ganz unsicherer Teil in mir hat ein mangelndes Urvertrauen und versucht daher so gut es geht Kontrolle zu bewahren. Darüber was Leute von mir denken, finanzielle Ressourcen, wie professionell ich im Beruf wirke, das Verhalten meiner Kinder, über meinen Mann und wie er auf andere wirkt.. spätestens jetzt sollte glasklar sein, dass ich das alles selbstverständlich nicht kontrollieren kann! Das ist unfassbar energiezehrend – für alle Beteiligten. Und wenn die Kräfte schwinden, die Mauer bröckelt und der Sturm in mir tobt, wird aus der Angst vor Kontrollverlust eine Angst vor dem Verlassen-werden. Denn wenn ich nichts mehr kontrollieren kann, weder mich, weil ich so emotional ausgelaugt und gestresst bin, noch meine Mitmenschen, noch die Umstände, dann kann es sein, dass ich verlassen werde und nichts dagegen bewirken kann. Die absolut schlimmste Angst meines inneren Kindes.
Wenn ich dann ausraste und merke, dass es das alles nur noch schlimmer macht und meine Liebsten sich von mir distanzieren – um es gelinde auszudrücken – ziehe ich das Dunkle in mir noch weiter zurück, um zumindest in meinem Umfeld keinen weiteren Schaden anzurichten. Doch das löst den Sturm in mir nicht auf, es verstärkt ihn nur und es wird beim nächsten Mal noch mehr und mit der Zeit unkontrollierbar.
Verantwortung übernehmen
Unkontrollierbar? Für wen? Für mich oder für Gott?
Und genau das ist der Punkt. Ich muss meinen Sturm nicht kontrollieren, sondern Gott.
Und das ist so schwer zu realisieren. Aber der Gedanke, dass jemand da ist, der mächtig ist, der wirklich die Kontrolle hat, der den Sturm wirklich mit einem Wort stillen kann, dieser Gedanke tröstet, beruhigt und macht Mut. Doch was ändert das konkret bei mir?
Es fordert mich heraus, denn das Opfer der Umstände zu sein und darin zu verharren, dass der Sturm so schlimm ist, wird mich nicht da raus holen. Ich muss stattdessen Verantwortung übernehmen.
Verantwortung ist irgendwie nicht so ein typisch christliches Wort, aber ich finde es gerade so wichtig, denn die Jünger hatten Verantwortung etwas an der Situation zu verändern. Nicht indem sie panisch hin- und herliefen und Wasser aus dem Boot schaufelten, sondern indem sie sich voll Glauben und Vertrauen an Jesus wandten.
Mit Jesus zusammen
Das ist auch unsere Aufgabe, eben nicht panisch zu versuchen alles zu retten und zu kontrollieren, aber auch nicht passiv zuzuschauen, mit den Schultern zu zucken oder sich selbst zu bemitleiden und am Ende Gott anzuklagen, dass nichts passiert. Wir sind aufgefordert mit Jesus zusammen unsere Realität zu kreieren. Das bedeutet es, in seinem Ebenbild geschaffen zu sein. Wir sind keine hilflose Kreaturen, wir sind aber auch nicht die, die den Sturm alleine stillen. Wir können uns sehr wohl vom Sturm ablenken, die Folgen des Sturms hinauszögern, die Spuren von außen hübsch überstreichen, den Zustand aushaltbar gestalten – aber den Sturm kontrollieren können wir nicht ohne Gott. Die Verantwortung liegt bei uns, aktiv in Beziehung mit Gott zu treten, und nicht Rückzug, Augen verschießen und Abwarten bis Gott was tut.
Er ist dabei den Sturm zu stillen.
Die Geschichte mit dem Sturm habe ich gefühlt bestimmt eine Millionen mal gehört, doch noch immer bewegt sie mich sehr. Denn was war in den Augenblicken zwischen Jesu Worten und dem tatsächlichen Ruhen des Sturms? Was haben die Jünger gefühlt? Was fühle ich gerade? Ich weiß, Jesus ist da und er ist dabei den Sturm zu stillen, aber rein physisch hat es mit Sicherheit einige Minuten gedauert bis die Wellen nicht mehr so hoch waren und sich alles entspannt hat.
So ist es auch mit dem Sturm in mir, er tobt noch, auch wenn am Horizont ein Licht zu sehen ist. Ich weiß Jesus hat gesprochen und ich stehe jetzt in der Verantwortung zu vertrauen, die vermeintliche Kontrolle abzugeben und durchzuatmen. Der Sturm wird stiller, ich merke es schon, mein Griff lockert sich langsam. Mein Blick ist auf Ihm, nicht mehr nur auf mir, nicht mehr auf dem Sturm.
Ich weiß, alles wird gut. Ich vertraue Ihm.
Fragen:
- Woran merkst du, dass ein Sturm in dir aufzieht?
- Wie erlebst du Jesus in deinem Sturm?
- Was bedeutet es in deinem Leben Verantwortung zu übernehmen?
Verantwortung
Als Eltern haben wir Verantwortung. Das ist klar. Und dessen ist man sich auch bestenfalls stets bewusst, denn nichts prägt die Psyche des Menschen mehr als die Erfahrung in den ersten Jahren des Lebens.
“Vieles falsch, aber noch viel mehr richtig gut”
Ich merke, dass sich die mütterliche Verantwortung mit der Zeit sehr wandelt. Das erste Mal hat mich das Bewusstsein über diese Verantwortung getroffen, als ich im Ultraschallbild das pochende Herzchen und die pulsierende Nabelschnur sah. Ich machte mir viel mehr Gedanken darüber, ob ich genügend Nährstoffe für mich und das Baby hatte und auch wie viel Stress und negative Gedanken ich hatte. Ich hatte Verantwortung meinen Körper als sicheren und gesunden Ort zum Wachsen und Gedeihen unseres Babies zu wahren.
Als sie dann Monate später in meinem Arm lag, war alles wieder ganz anders. Ich wollte sie stillen, sie willkommen heißen, ihr Nähe und Wärme schenken. Meine Verantwortung war es, ihr ein schönes Ankommen in der Welt zu bereiten.
Als wir von der Geburtsklinik nachhause entlassen wurden, schauten Sascha und ich uns an und meinten: “Was? Jetzt haben sie uns echt das Baby mit nachhause gegeben? Jetzt sind wir hier alleine, ohne Hilfe zuhause mit einem Baby?” Das war noch ein Level mehr Verantwortung und so sind wir Stück für Stück gewachsen, haben scheinbar Unüberwindbares gemeistert und haben vieles falsch, aber noch viel mehr richtig gut gemacht.
“Die Erziehungsmethoden, die ich in meiner Kindheit erfahren habe, kann und will ich für meine Kinder mit Sicherheit nicht anwenden.”
Zur Zeit ist das Thema Verantwortung wieder richtig wichtig für mich geworden, denn meine Große ist noch in ihrer Autonomiephase und meine Kleine beginnt gerade erste Anzeichen zu zeigen. Verantwortung besteht jetzt nicht mehr nur darin sie zu nähren, pflegen, Geborgenheit und Nähe zu schenken, ihr einen sicheren Raum zum Erkunden zu schaffen, sondern es geht um Verhalten, Emotionen, Grenzen, Autonomie, Nähe und so vieles mehr.
Ich finde das wirklich viel, was da auf einen zukommt. Die Erziehungsmethoden, die ich in meiner Kindheit erfahren habe, kann und will ich für meine Kinder mit Sicherheit nicht anwenden und deshalb habe ich mich zunächst etwas halt- und orientierungslos gefühlt. Die Bedürfnis- und Bindungsorientierte Erziehung hat schon immer am meisten mit mir räsoniert und ich habe mir auch über die Babyzeit hinaus ganz oft zum Ziel gesetzt, die Bedürfnisse meiner Tochter erst zu nehmen, ihr zuzuhören, Respekt zu zeigen, ihren Bedürfnissen Raum zu geben, eine “Ja”-Umgebung zu schaffen, auf Augenhöhe zu ihr zu kommen. Doch was sich im Laufe der Autonomiephase immer wieder gezeigt hat, ist, dass ich den allerwichtigsten Aspekt aus den Augen verloren habe: die Verantwortung für mich selbst.
“Wenn ich als Mutter die Verantwortung nicht übernehme, bei wem liegt sie dann?”
Es gab nicht selten Situationen in denen ich alles versucht habe, um den Bedürfnissen meiner Tochter gerecht zu werden. Dass ich meine eigenen Bedürfnisse ganz hinten angestellt habe. Das hat dann hin und wieder zu großem Krach geführt, weil meine Nerven irgendwann durch waren und meine Tochter mit der Verantwortung überfordert war. Wenn ich als Mutter die Verantwortung nicht übernehme, bei wem liegt sie dann?
Wenn ich merke, dass meine Grenze erreicht sind, liegt es in meiner Verantwortung dies zu kommunizieren und meiner Tochter liebevolle Führung und Orientierung zu bieten (dies ist übrigens auch ein unfassbar wichtiges Bedürfnis). Wenn ich stattdessen ihrem Widerwillen nachgebe, z.B. wenn sie nicht von Ort X aufbrechen will, ich aber Kopfschmerzen habe und weiß, dass wir in Ruhe Abendessen und bettfertig werden wollen, ohne dass es zu spät wird.
Mein Kind weiß das nicht. Alles was sie weiß, ist, dass es jetzt gerade, wo wir sind, super schön ist und es Spaß macht. Wenn ich dann komme und diese schöne Situation beenden will, sie das verweigert und ich ihr dann nachgebe, übertrage ich die Verantwortung auf sie. Wenn sie sich dann auf dem Nachhauseweg querstellt oder die Treppen zur Wohnung nicht laufen will, ist meine Wut darüber umso größer, denn: “Ich gebe hier stundenlang nach, mache dir alles recht und du dankst es mir jetzt mit so einem Theater?” Das sage ich ihr so natürlich nicht, aber genau das habe ich schon so oft gedacht und non-verbal geäußert.
Kinder spüren das ganz genau und das ist ein so unfairer Gedanke ihr gegenüber. Sie reagiert auf die Umstände tatsächlich angemessen. Sie kooperiert in dem Moment nicht mit mir, aber mit ihrem Inneren. Ihr Nervensystem ist durch verschiedene Auslöser in Not geraten, wie Hunger, Müdigkeit, erhöhtes Nähebedürfnis, aber eben auch die Verantwortung, die ich ihr übertragen habe und die Schuld, die ich ihr für den Stress in mir übertrage.
Das ist ein Muster, dass ich in ganz vielen Beziehungen zeige. In meiner Ehe gebe ich für ganz vieles, was nicht gut läuft, meinem Mann die Schuld – im Kleinen und Großen. Auch in meinen Freundschaften zeigt es sich, wenn ich mich darüber beschwere, dass sie sich lange nicht bei mir gemeldet haben und ich dann merke, dass ich mich selbst ja auch lange nicht gemeldet habe.
Eine neue Ebene der Verantwortung
Laut Wikipedia ist Verantwortung vorrangig die Fähigkeit, das eigene Können und die möglichen Folgen von Entscheidungen einzuschätzen und so zu handeln, dass die erwarteten Ziele mit größter Wahrscheinlichkeit erreicht werden. Häufig ist damit das Bewusstsein verbunden, im Falle des Scheiterns Schuld zu tragen.
Wo ich jetzt ansetze, um in meiner Selbstverantwortung zu wachsen, ist, mein eigenes Können und die möglichen Folgen von Entscheidungen einzuschätzen, statt davor wegzurennen. Mir war lange bewusst, dass es mir an Selbstvertrauen mangelt und das zeigt sich jetzt in der Schwierigkeit genau dies zu tun. Mein Können einschätzen? Entscheidungen und ihre Folgen einschätzen? Ich merke gerade mehr denn je, dass ich Gott brauche; wie sehr mir die intensive Verbindung mit ihm in letzter Zeit gefehlt hat und ich merke auch, dass in mir etwas Neues, noch nie da gewesenes entfacht wurde. Ich bin bereit für eine neue Ebene der Verantwortung und ich bin gespannt, denn ich weiß, es wird wie jede bisher, mein Leben und mich sehr zum Positiven verändern.
Fragen:
- Wie definierst du Verantwortung?
- Wo fällt es dir leicht, sie zu übernehmen und wo fordert es dich heraus?
- Was passiert, wenn du die Verantwortung für dich selbst nicht übernimmst?
Gott ist FÜR mich
Letztens hatte ich eine tiefe Erkenntnis über eine simple und dennoch unfassbar starke Wahrheit: Gott ist FÜR mich. Irgendwie war mir das schon immer klar, aber eben nur irgendwie.
Muss ich mir Gottes Gunst erarbeiten?
Ich habe immer diesen Drang gehabt etwas für meine Anerkennung bei Gott machen zu müssen. Ich muss mich ihm ganz viel widmen, Bibel lesen, beten, Leuten helfen, ein Licht sein. All diese Dinge bringen einen tatsächlich näher zu Gott, doch sind sie ausschlaggebend dafür dass Gott FÜR dich ist? Muss ich mir seine Gunst erarbeiten? Anders gefragt, ist Gott sonst etwa GEGEN mich?
Ich fange gerade an diesen Glaubenssatz zu hinterfragen, er war tatsächlich bisher unbewusst. Gegen jemanden zu sein klingt erstmal sehr harsch, aber für mich persönlich ist Abweisung, Ignoranz und die kalte Schulter zeigen extrem schmerzhaft und ich beziehe es ganz schnell auf mich persönlich.
Wenn ich mich selbst von Gott zurückgezogen habe, empfand ich Gott auch oft als sehr weit weg, als kühl, und unbeteiligt. Um diesem Schmerz auszuweichen habe ich mich dann noch mehr von Ihm entfernt.
Ein Muster aus meiner Vergangenheit
Ein Muster, dass ich eins zu eins aus meinen Teenagerjahren mit meinen Eltern (insbesondere Vater) kenne. Ich wusste theoretisch, dass mein Vater mich liebt, aber ich musste mir seine Liebe immer selbst “abholen”. Wenn ich nicht auf ihn zukam, redeten wir tagelang nicht miteinander. Wenn ich mal unfreundlich zu ihm war, zog er sich noch mehr zurück. Gerade dann, wenn ich eine Umarmung und ein “Ich liebe dich“ von ihm am meisten brauchte, war ich allein.
Als ich Gott in mein Leben ließ, füllte er zunächst das schmerzende Loch in mir, doch schon bald kam die Angst, nicht gut genug zu sein, nicht genug zu leisten, keine Liebe zu verdienen. Ich wurde in meinen Anfang 20ern immer aktiver, ging sogar eine zeitlang in die Mission, gab Gott all meine Zeit, Energie, Geld, Aufmerksamkeit, Begabungen.. trotzdem hatte ich das Gefühl es reicht nicht. Mir fehlte die Erkenntnis, dass Gott wirklich FÜR mich ist.
Ganz viel Angst in meiner Kindheit
Ich glaube es geht sehr vielen Christen so. In meinem Bekanntenkreis gibt es einige (u.A. leitende Personen) die im Laufe ihres christlichen Dienstes Burnout bekommen haben. Das sollte eigentlich nicht möglich sein, sofern man im Glauben lebt, dass Gott FÜR einen ist. Und zwar bedingungslos FÜR einen.
Oft wird gerade in freikirchlichen Systemen unsere sündige, schwache, schlechte Grundnatur vorausgesetzt und dadurch die Notwendigkeit von Gott durch Jesu Tod gerettet werden zu müssen. Wenn wir das nicht annehmen und weiterhin “sündigen” sei Jesus umsonst für einen gelitten.
Ich kann mich an ganz viel Angst in meiner Kindheit in einer christlichen Gemeinde erinnern. Angst vor der Entrückung, dem Zurückgelassen-werden, Angst meine geliebten (nicht christlichen) Freunde nicht retten zu können, Angst Gottes Plan nicht zu erkennen und aus dem Fleisch heraus zu leben, Angst lauwarm zu sein und von Gott abgelehnt zu werden. Und so, so viel mehr. Es hat meine Seele und meinen Geist wirklich gehindert sich in Freiheit zu entfalten. Auch wenn oft in Gemeinden die Rede von Freiheit war, habe ich davon nichts gemerkt. Wovon ich weit weg war, war die bedingungslose Liebe Gottes.
Wie ein kleines Kind
Heute habe ich viel Abstand zu diesen Denkweisen gewonnen und der Angst und fange wieder an mich Gott persönlich zu nähern – ganz neu, ganz unbedarft, wie ein kleines Kind.
Das passt gerade sehr in meinen persönlichen Heilungsweg, denn durch das Muttersein ist ganz viel aus meiner Kindheit an die Oberfläche gekommen und viele falsche Glaubenssätze und Lügen kommen herauf. Ich bin so froh sie nach und nach ablegen zu können und mit Gottes ganz simpler, aber unfassbar mächtigen, alles übersteigenden Liebe zu füllen. Wenn ich jetzt über Jesus und was er für mich getan hat nachdenke, schleicht sich statt einem schlechten, unwürdigen Gefühl eine Dankbarkeit ein, denn ich weiß dahinter steht seine Liebe, sein JA zu mir. Er hat mich geliebt noch bevor ich etwas machen konnte, er hat mich in Liebe erdacht und erschaffen, seine Liebe ist in meinen Zellen eingewoben, er schaut mich an und freut sich und nennt mit gut. Gott ist einfach FÜR mich, komplett unabhängig von meinem Handeln.
Wo die Liebe regiert, hat die Angst keinen Platz; Gottes vollkommene Liebe vertreibt jede Angst. Angst hat man nämlich dann, wenn man mit einer Strafe rechnen muss. Wer sich also noch vor dem Gericht fürchtet, bei dem ist die Liebe noch nicht zum vollen Durchbruch gekommen.
Der tiefste Grund für unsere Zuversicht liegt in Gottes Liebe zu uns:`Wir lieben, weil er uns zuerst geliebt hat. – 1. Johannes 4, 18-19
Fragen:
- Was fühlst du bei dem Satz: Gott ist FÜR dich?
- Welche Rolle Spielt Angst in deinem Glaubensleben?
- Welche negativen Glaubenssätze hindern dich, Gottes Liebe in Freiheit anzunehmen?
Kontrolle
„Du hast ein Problem damit Kontrolle abzugeben.“ Meinte letztens mein Mann zu mir. Ich wollte es erst nicht wahrhaben, denn solche Menschen hatte ich mir immer als herrschsüchtig, dominant, toxisch und eifersüchtig vorgestellt und das bin ich doch alles sowas von nicht. Aber je mehr ich drüber nachdenke, desto mehr muss ich eingestehen.. ja, ich hab ein Problem mit Kontrolle und es äußert sich ganz anders als die Bilder, die ich bisher im Kopf hatte.
Es beginnt schon mit dem Thema Menschenfurcht, überhaupt das übermäßige Gedanken machen, was andere von mir denken. (An dieser Stelle habe ich das Gefühl, dass es darum in fast jeder meiner Kolumnen geht, aber es ist einfach so ein großes Thema für mich, daher kommt es immer wieder auf. Seid nachsichtig mit mir 😉)
Ich hatte immer schon große Probleme frei ich selbst zu sein und meine Meinung zu äußern, aus Angst man könnte mich deshalb nicht mehr mögen und deshalb war ich immer still und wenn ich etwas sagte, dann nur meinem Gegenüber bestätigend und zustimmend. So hatte ich vermeintlich die Kontrolle darüber, was Menschen von mir denken. Im Job versuchte ich mit aller Kraft jedem zu helfen und alle zu retten. Ich hatte solche Angst zu versagen und meine Klienten zu enttäuschen und schlecht vor meinen Kollegen dazustehen.
Die ständige Kontrolle hat mich fast in den Burn-Out getrieben. Und seit mein süßes kleines Babymädchen ein eigenwilliges Kleinkind ist, lerne ich nochmal ganz andere Seiten an mir kennen, wenn ich das Gefühl habe, sie entgleitet mir mit ihren Emotionsausbrüchen und ihrem unsagbar starken Willen.
Wenn nichts, was ich mache oder sage, bewirkt, dass sie kooperiert oder zumindest etwas runterkommt, brodelt es heiß in mir hoch und mein Puls schlägt mir bis zum Hals. Es ist wie eine Ur-Angst. Fight or Flight. Ich will entweder ausrasten oder fliehen. Beides hab ich schon gemacht. Beides bringt nichts. Und dass ich einen Mann habe, der sehr widerspenstig, eigenwillig und stur ist, ist für mich unfassbar herausfordernd und genauso unfassbar wichtig, weil ich ihn nicht wirklich kontrollieren kann.
Doch woher kommt das? Diese Angst Kontrolle abzugeben, beziehungsweise zu verlieren? Im Grunde war es für mich seit früher Kindheit meine Art, mit einigem was (schief)gelaufen ist, klarzukommen – quasi ein “Überlebensmechanismus”. Indem ich mich und meine Emotionen unter Kontrolle hatte, belastete ich mein Umfeld nicht. Ich hatte das Gefühl nicht sicher zu sein, wenn ich es rauslasse.
Engste “Bezugspersonen” konnten meine Energie und Emotionen nicht aushalten und wenn ich ruhig und kontrolliert war, wurde mir mehr Wohlwollen entgegen gebracht. Und wenn in meinem Umfeld Stress und Streit herrschte, fühlte ich mich dennoch immer verantwortlich und wollte es schlichten.
Schon mit zwei konnte ich stundenlang ganz still sitzen und warten, erzählte mir mein Vater oft ganz stolz. Als er mich mal mit zur Arbeit nahm, dachten seine Kollegen ich sei eine Puppe. Als Teenager entwickelte ich eine schwere Essstörung, bei der es, wie in den allermeisten Fällen, nicht um das Ziel einer schlanken Figur ging, sondern um.. Kontrolle. Wenn ich mein Umfeld nicht kontrollieren kann, dann zumindest meinen eigenen Körper. Diese Symptomatik konnte ich – Gott sei Dank – vor einigen Jahren hinter mir lassen, doch das Grundproblem scheint noch nicht komplett gelöst zu sein, es äußert sich nur anders.
Mich zu kontrollieren und dadurch auch das, was mein Umfeld von mir hält, ist also ganz tief in mir verwurzelt und lässt sich nicht einfach abstellen. Und dann kommt Gott und sagt: „Vertraue mir. Übergib mir deine Kontrolle, sie tut dir nicht gut.“ Und ich.. habe Angst.
Seit einer Weile beschäftige ich mich mit Methoden wie Atemtechnik, Meditation, Imagination und anderen Formen von Self-Empowerment, um mit den Hürden des Alltags klarzukommen. Es hilft mir tatsächlich sehr und als ich letztens ganz enthusiastisch Sascha erzählte, was ich gerade lerne, meint er, dass ich dadurch doch umso mehr lerne alles selbst in die Hand zu nehmen und zu kontrollieren, statt es an Gott abzugeben.
Ich muss ehrlich sagen, ich gebe Gott derzeit kaum Kontrolle über mein Leben. Doch wenn was schiefgeht, dann bin ich sauer, dass Gott nichts gemacht hat. Das ist doch typisch Mensch oder? Gott hat in der Not bitte schön da zu sein und alles zu retten, aber dann kann Er wieder schön zurück in die Wolken verschwinden und uns machen lassen und wenn dann doch etwas Schlimmes passiert, sei es ein Unfall, eine Naturkatastrophe, der Tod eines geliebten Menschen, eine schwere Krankheit und Gott „nichts macht“, dann wird zuallererst Gott angeklagt.
Die Frage: „Warum lässt Gott das zu?!“ sollte vielleicht mal ersetzt werden mit: „Hab ich in meinem Leben bisher Gottes Wirken überhaupt zugelassen?“. Ich habe mich immer davor gescheut Gott die Kontrolle zu geben, aus Angst meine Freiheit aufzugeben. Aber wenn ich so drüber nachdenke und mir vorstelle, meine dreijährige Tochter müsste immer kontrollieren, ob wir im Supermarkt genug Geld für alle Einkäufe haben, ob wir sie nachts nicht alleine in der Wohnung lassen, ob das, was ich koche, nicht giftig für sie ist, ob ich fahrtüchtig bin, wenn ich sie vom Kindergarten abhole. Wäre sie dann frei? Nein, die Vorstellung mein Kind müsste alles kontrollieren ist sowas von unfrei und schrecklich. Stattdessen kann sie vertrauen und die Kontrolle uns Eltern überlassen, ob und was es zu Essen gibt, inwiefern wir im Straßenverkehr sicher sind, dass wir auf sie aufpassen und sie versorgen. Durch dieses Kontrolle-aufgeben kann sie wirklich frei und sie selbst sein. Sagt Gott uns nicht in Matthäus 18;15-17 „Werdet wie die Kinder.“?
Die Kontrolle an Gott abzugeben ist also keine Drohung, sondern eine Einladung frei zu sein.
Fragen:
- Fällt es dir leicht Kontrolle abzugeben?
- Kennst du Situationen, in denen die Kontrolle dir entgleitet? Wie gehst du damit um?
- Vertraust du Gott in allen Bereichen deines Lebens?
Wie werde ich stark?
Vor einer Weile habe ich Gott eine Frage gestellt: Warum bin ich so schwach?
Es war auf viele Aspekte bezogen, die mich zu der Zeit gerade störten. Mich störte der Mangel an Disziplin, Geduld, Nerven, Mut, Klarheit, Direktheit, Widerstandsfähigkeit, körperliche Gesundheit, Selbstsicherheit und vielem mehr. Es war eine Frage aus Frust gestellt. Doch mit der Antwort die sofort danach kam, hätte ich nicht gerechnet: “Claire, du ahnst gar nicht wie stark du eigentlich bist.” Mir schossen Tränen in die Augen, weil ich ganz tief in mir wusste, wie wahr das ist und wie weit ich mich davon entfernt fühlte. Durch so viele Umstände, Verhaltensweisen, Angewohnheiten wurde mein Kern ganz verschüttet, ich hatte nichts mehr von meiner Stärke vor Augen.
In dem Moment erinnerte ich mich an etwas, was mein Vater mir durch meine Kindheit und Jugend mehrmals erzählt hat: Als Neugeborene war ich mehrere Wochen auf der Intensivstation aufgrund einer spät bemerkten Blutvergiftung. Nach der Genesung verweigerte ich jegliche Nahrung, selbst aus der Sonde kam alles wieder hoch, daher war ich mit ca. einem Jahr für mein Alter deutlich zu klein und untergewichtig. Die Ärzte wollten mich deshalb um meinen ersten Geburtstag herum ins Krankenhaus einweisen. Mein Vater aber sah in diesem zerbrechlich wirkendem Mädchen bereits eine enorme Stärke. Nicht nur, dass ich eine ernsthaft lebensbedrohliche Krankheit überstanden hatte, sondern auch, dass ich eine enorme Kraft in diesen zarten Fingern und Armen entwickeln konnte. Ich hielt mich an den beiden Zeigefingern meines Vater so fest, dass er mich so hochheben konnte und wenn man mir etwas in die Hand gab, hielt ich es so fest, dass selbst er es nicht mehr aus meiner Hand bekommen konnte. Er demonstrierte es sogar vor dem Arzt, den dass letztendlich auch überzeugte, und es mir ansonsten auch gut ging und meine sonstige Entwicklung nicht verzögert war.
Mein Vater sagte dann immer zu mir: “Du warst unglaublich stark für dein Alter und ich wusste, du wirst du einer unglaublich starken Frau heranwachsen, vor der der Teufel erzittern wird, weshalb er dich auch gleich zu Beginn loswerden wollte.” Ich hatte diese Geschichte bis zu dem Moment komplett vergessen, doch plötzlich fluteten die Worte meines Vaters wieder in mein Gedächtnis und mir wurde bewusst, dass ich schwach bin, war eine ganz direkte Lüge, die ich so lange geglaubt habe. Irgendwas zerbrach in mir in dem Moment der Realisation, dass ich doch stark bin. Es waren lange aufgebaute Lügenkonstrukte.
Sich für schwach zu halten hat weitaus mehr Konsequenzen, als man erstmal denkt. Wenn ich mich für schwach halte, bin ich weniger mutig, ich packe nicht mit an, vor allem, wenn es meine Kapazitäten scheinbar übersteigt. Ich halte mich im Hintergrund, denke nichts geben zu können und gebe deutlich früher auf als ich eigentlich könnte.
Wer das alles zum Ziel hat ist eigentlich ganz klar, doch warum fällt es uns so viel leichter auf die Lügen der Finsternis zu hören, als auf Gottes Wahrheiten? Und bedeutet das jetzt, das ich durchweg stark bin, beziehungsweise sein muss und das einfach nur erkennen muss? Sicher nicht. Das wäre unmenschlich und würde bestimmt irgendwann in Übermut münden. Eine sehr spannende Bibelstelle dazu steht im 2. Korintherbrief:
Doch der Herr hat zu mir gesagt: »Meine Gnade ist alles, was du brauchst, denn meine Kraft kommt gerade in der Schwachheit zur vollen Auswirkung.« Daher will ich nun mit größter Freude und mehr als alles andere meine Schwachheiten rühmen, weil dann die Kraft von Christus in mir wohnt.
– 2. Korinther 12, 9 (NGÜ)
Ich bin zwar stark, aber meine Stärke kommt nicht aus mir heraus. Ich hab sie mir nicht irgendwie angeeignet, trainiert, gelernt, erkämpft. Meine Stärke kommt durch meinen Gott, der in mir lebt und wirkt und gerade da, wo meine menschliche Natur schwächelt, wo ich Angst habe und abgelenkt werde. Da kann Gott mich stark machen. Denn wenn wir unsere Schwäche nicht vertuschen, aber uns auch nicht darin ausruhen, sind wir bereit durch Ihn stark zu sein.
Fragen:
- Siehst du dich selbst als stark?
- In welchen Momenten deines Lebens hast du Gottes Wirken am meisten gespürt?
- Gibt es etwas, was deine Kapazitäten scheinbar übersteigt, aber du fühlst dich dorthin gerufen?
Versteckspiel
Vor kurzem ist mir etwas aufgefallen, was mir nicht leicht fällt, mir überhaupt selbst einzugestehen, geschweige denn es nach außen zu tragen. Doch ich bin nach wie vor auf der Reise Scham abzulegen und deshalb entscheide ich mich immer wieder mich verletzlich zu machen und daraus zu lernen und zu wachsen. Es ist dieses Mal keine ermutigende Kolumne mit Lösungen, Motivation oder einem passenden Bibelzitat. Es ist eher ein Geständnis und vielleicht bin ich die einzige, der es so geht – dann ist diese Kolumne einfach nur für mich. Aber vielleicht geht es noch jemandem von euch so, dann lass uns gemeinsam Mut fassen und es uns eingestehen, um es letztendlich zu ändern.
Was mir aufgefallen ist, dass ich oft ein Versteckspiel mache. Die folgenden Punkte, die ich bei mir aufgedeckt habe, sind natürlich kein Dauerzustand, aber es gibt eben Phasen in denen es mal mehr und mal weniger der Fall ist.
– Ich verstecke mich vor Gott, indem ich lange Zeit überhaupt nicht ins Gebet gehe oder mich auf keine Weise mit geistlichen Themen befasse.
– Ich verstecke mich vor alltäglichen Aufgaben. Vor dem Saubermachen, über Papierkram erledigen und abheften, bis hinzu Anrufe tätigen, z.B. um Arzttermine auszumachen.
– Ich verstecke mich vor mir selbst, indem ich mir keine Minute des Tages Zeit nehme, inne zu halten und mich zu fragen, wie es mir gerade geht und was ich brauche, geschweige denn am Abend ein Tagebuch oder Malpinsel zur Hand zu nehmen.
– Ich verstecke mich aber auch vor anderen Menschen, indem ich mich lange Zeit nicht bei ihnen melde, mit der Begründung, dass sie sich ja auch melden könnten oder dass sie bestimmt gerade keine Zeit haben. Ich antworte aber auch vielen nicht, da selbst das Öffnen und Beantworten von Sprachnachrichten mich von Zeit zu Zeit so sehr stresst, dass ich es einfach lasse und mich davor verstecke. Tatsächlich habe ich sogar in dieser Minute neben mir ein Handy mit einigen ungeöffneten Nachrichten und Sprachnachrichten von letzter Woche bis hinzu vorletztem Monat. Mir ist sogar bewusste, dass mindestens eine dieser Personen innerhalb dieser Woche eine Antwort gewünscht/gebraucht hätte.
Es gibt bestimmt einige, die jetzt denken, statt hier so eine Kolumne zu tippen, hör doch einfach diese blöde Sprachnachrichten an und beantworte sie. Aber es ist gerade wirklich ein Problem für mich, denn je länger ich Zeit verstreichen lasse desto größer wird auch die Angst vor dem Anhören und die Reaktion, die ich dementsprechend liefern muss.
Ich beginne meine Antworten so oft mit den Worten: “Sorry, hab die Nachricht übersehen und hab sie jetzt durch Zufall wiedergefunden und antworte deshalb so spät.” Manchmal ist es wirklich so. Aber ganz wahr ist das tatsächlich meist nicht. Ehrlich wäre dann eher: “Sorry, ich hab vor drei Wochen gesehen, dass du mir eine Sprachnachricht geschickt hast, hatte aber in dem Moment keinen Nerv sie anzuhören und auch ein bisschen irrationale Angst davor, was du wohl darin sagst und hab sie deshalb ignoriert und jetzt nach wochenlangem schlechten Gewissen endlich angehört und festgestellt dass es gar nichts Schlimmes war. Sorry.”
Ich verstehe es selbst nicht ganz, aber was ich interessant finde ist, dass mir dieses Verhalten vor Kurzem bei der Arbeit mit psychisch Kranken begegnet ist. Eine Klientin hatte Monate lang Briefe ungeöffnet im Keller verschwinden lassen, von der Krankenkasse, Rechnungen, Mahnungen, Inkassobriefe.. Teilweise sind sie durch Zufall wieder aufgetaucht und ihr Partner stand mit einem Stapel vor ihr und fragte was das solle? Tatsächlich kamen durch dieses Verhalten große Schulden auf die Familie zu. Sie konnte nur mit dem Schultern zucken und zu Boden blicken. In dem Moment konnte ich das, so wie ihr Partner, nicht nachvollziehen. Ich sagte ihr sogar, dass die Briefe direkt nach Erhalt zu öffnen, ihr jetzt riesige Kosten, Rennerei zu Ämtern und bürokratischen Aufwand erspart hätte. Als ob sie das nicht wusste.
Erst einige Tage später, als ich in einer (im Vergleich banalen) Situation bei mir selbst ähnliche Züge von Verdrängung bemerkte, merkte ich, dass ich es sehr wohl nachvollziehen kann, wie es zu solch einem fatalen Verhalten kommen kann. Deshalb bin ich dankbar, es jetzt so richtig zu realisieren, um es anzugehen und zu überwinden. Es gehört dazu zum ‘Frieden-Nachjagen’. Dinge zu erledigen, die durch Verdrängung nur Unfrieden hervorrufen, ist definitiv nicht einfach, aber dem Nachzujagen ist eine bewusste Entscheidung. Es beinhaltet aufzustehen, zielgerichtet voranzugehen und etwas regelrecht in Angriff zu nehmen.
Fragen:
- Wann hast du das letzte Mal innegehalten?
- Sorgst du dich auch oft um Dinge, die in der Perspektive der Ewigkeit keine Rolle spielen?
- Was hörst und fühlst du, wenn du still bist?